Alvion - Prophezeiung
(Band 2 des Tar Naraan Zyklus)
Alvion, der symphatische Helden wider Willen aus "Alvion - Vorzeichen", dem 1. Band der Alvion Trilogie, kommt auch in der Fortsetzung nicht zur Ruhe. Seine Welt wurde schon zum zweiten Mal von Molaar in Schutt und Asche gelegt, und in ihm reift die erschütternde Erkenntnis, dass Velias Antlitz sich auf ewig vollständig verändern wird. Er weiß, wenn er in Zukunft in einer freien und friedlichen Welt leben will, dass er dafür kämpfen muss. Die Prophezeiung des uralten Magiers Beniatius bringt für ihn und seinen Freund Tian Lux eine abenteuerliche und gefährliche Reise mit vielen Unwägbarkeiten, fernab ihrer Heimatländer. Welche Aufgabe zur Rettung Septrions hat Beniatius in seiner Prophezeiung Salina, Alvions geliebter Magierin, zugedacht? Wer sind die "Kinder Velias" und welche Rolle spielen sie?
Indes bedrängt Molaar mit seinen riesigen Armeen und mit finsterer Magie Septrion weiter von allen Seiten. Kann der Magierorden vom Seelenwald den Angreifer noch aufhalten? Viele Gebiete sind schon verloren, doch immer wieder können sich auch einzelne Völker mit Hilfe der Magier des Ordens vom Seelenwald gegen ihre
Feinde wehren, und ihnen empfindliche Niederlagen zufügen. Gibt es noch eine Chance auf Freiheit für Septrion oder hat die Finsternis bereits gewonnen?
Wer die Leseprobe aus dem zweiten Band, "Alvion - Prophezeiung" nicht unten weiterlesen möchte, kann sie auch als PDF herunterladen,
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Leseprobe
„Es ist ohnehin erst Zeit zum Aufbruch, wenn Marcon Theron, der Zal und Tian Lux, der Argion, Vylaan erreichen. Lass sie erst aufwachen und zu Kräften kommen, Alvion, dann werden wir alles Weitere besprechen. Und jetzt geh bitte, ich fühle mich selbst noch ziemlich schwach!“ So hatte er mich abgespeist, was mich im Nachhinein sehr verärgerte, doch in jenem Moment war ich auch zu erstaunt darüber, dass sich Tian Lux auf dem Weg nach Vylaan befinden sollte, wo er doch im abgeschnittenen Argion weilte und sicherlich seine Heimat im Kampf verteidigte. Allerdings war Zelio selbst erst kurz zuvor erwacht, sodass ich gar nicht daran dachte, ihn auszuhorchen, doch als ich in den folgenden Wochen jedes Mal von Isas abgewiesen wurde, wenn ich mit Zelio sprechen wollte, begann ich mir allmählich meine Gedanken zu machen, weil Salina nämlich nicht erwachte. Entweder Zelio beachtete mein Klopfen an seiner verschlossenen Tür überhaupt nicht oder Isas schickte mich wieder weg, mit der Ausrede, dass Zelio viele wichtige Dinge zu erledigen hätte und nicht gestört werden dürfte.
Am Tag nach diesem Gespräch war ich noch, einer plötzlichen Eingebung folgend, in der Herberge „Velia“ gewesen, wo ich eigentlich sonst immer gewohnt hatte, wenn ich in Vylaan weilte, und hatte dort eine Nachricht vorgefunden, die Tian Lux zurückgelassen hatte, als er nach Hause aufgebrochen war. Ich ärgerte mich kurz, dass ich nicht schon früher daran gedacht hatte, doch gleich darauf dachte ich mir, dass es ja keinen Unterschied machte, weil Tian ohnehin noch in Argion weilte. Also entrollte ich das Papier und las:
Mein lieber Freund Alvion,
Es bleibt mir nicht mehr viel Zeit, auf deinen Brief zu antworten, denn mit deinen Zeilen hat sich bestätigt, was hier bereits seit Tagen deutlich spürbar der Luft lag. Nur zu gut kann ich deine Gefühle verstehen, die dich in die Uniform zurücktreiben, denn es ist Ehre und Pflicht zugleich, seine Heimat zu verteidigen! Auch ich spüre in diesem Moment, da ich von der nahenden Gefahr erfahren habe, den Ruf meiner Heimat und die Pflicht, diesem Ruf zu folgen. Wenn ich diesen Brief beendet habe, werde ich nach Argion aufbrechen und das Gleiche tun. Da wir nun unsere Verabredung nicht einhalten können, lass uns diese Herberge zu unserem zukünftigen Treffpunkt machen. Ab dem Jahr, wo, so es die Götter wollen, dieser Krieg beendet ist und wir beide überlebt haben sollten, mögen wir uns zum Sommeranfang hier in Vylaan in eben dieser Herberge wieder sehen.
Gib gut auf dein Leben acht, Alvion Trey, denn auch du bist mir ein teuerer Freund geworden. Meine besten Wünsche begleiten dich auf dem Weg in die Schlacht. Da auch ich nicht weiß, welchen Weg mir das Schicksal bestimmt hat, verbleibe ich, ebenso wie du, mit einem
Lebe wohl, zufrieden und glücklich, in Freundschaft
Tian
Da mir Zelio verraten hatte, wer jener Argion sein würde, der den langen Weg nach Meridia gehen sollte, war ich mir sicher, dass Tians erstes Ziel in Vylaan die Herberge sein würde. Daher zückte ich meinen Beutel und legte einige Münzen auf den Tisch vor dem Mann am Empfang.
„Lasst mich benachrichtigen, sobald Tian Lux sich hier einfindet, und sagt ihm, dass er in jedem Falle hier auf mich warten soll!“
Dann erklärte ich ihm den Weg zu meiner derzeitigen Unterkunft und zum Hause der Magier und teilte ihm mit, zu welcher Zeit ich wo zu finden war. Ansonsten verbrachte ich jene Wochen, wie schon die Zeit zuvor damit, mich täglich stundenlang körperlich in Form zu bringen und mich in der Handhabung meiner Waffen zu üben und allmählich erreichte ich auch wieder die Kraft und Geschicklichkeit, die ich gehabt hatte, bevor mich dieser unselige Pfeil beinahe getötet hätte.
Eines Tages kam jedoch unvermittelt ein Offizier zu mir, als ich gerade dabei war, mit meinem Dolch auf verschiedene Hindernisse zu werfen, und teilte mir mit, dass der Befehlshaber der städtischen Garnison mich zu sprechen wünschte. Einige Minuten später stand ich dann schließlich vor ihm in der behaglichen Wärme seines Raumes. Ein älterer Soldat mit strengem Blick hatte mich erwartet, jedoch nicht einmal aufgesehen, als ich seinen Raum betreten und mich wie befohlen bei ihm gemeldet hatte. Stattdessen starrte er noch längere Zeit auf die Papiere in seinen Händen.
„Ihr seid Offizier, Alvion Trey?“, fragte er mich schließlich in äußerst feindseligem Ton.
„Ja, Sire, so ist es!“
„Nun Alvion Trey, ich habe hier einen königlichen Befehl, Euch nicht für ein Kommando einzusetzen, obwohl Ihr doch offensichtlich wieder bei Kräften seid. Könnt Ihr mir das erklären?“, fuhr er weiterhin äußerst angriffslustig fort und wedelte mit einem Blatt in der Luft herum.
„Mir wurde verboten, darüber zu sprechen, Sire, doch ich versichere Euch, dass es sich um eine äußerst wichtige Angelegenheit handelt.“
„Wisst Ihr, was ich glaube, Alvion Trey?“
Er starrte mich durchdringend an, ich jedoch blieb stumm, denn er erwartete offenbar gar keine Antwort auf seine Frage.
„Ich glaube, ihr seid ein Feigling! Ihr habt Angst, Euch noch einmal einen Pfeil einzufangen, obwohl es doch das Ehrbarste ist, für Solien und seine Freiheit zu sterben!“ Bei diesen Worten war er aufgestanden und in seinem Blick lag nun eine Herausforderung. Mit einer gewissen Resignation überlegte ich, woran es wohl lag, dass ich auf andere eine solch provozierende Wirkung hatte. Gleichzeitig spürte ich auch, wie mir vor Zorn das Blut in den Kopf schoss, und es kostete mich einige Mühe, mich zu beherrschen.
„Ihr irrt Euch, Sire“, erwiderte ich gezwungenermaßen ruhig und beschloss, diese ungeheuere Beleidigung zu ignorieren, jedoch entsann ich mich Salinas Ausspruch über mein Talent, mir den Unmut mächtiger Männer zuzuziehen. Offenbar hatte sie recht, auch wenn mir einfach nicht in den Kopf wollte, wieso das so war.
„Ach ja?“, lachte er höhnisch auf, „ich denke, Ihr habt einen hohen Beschützer, der Euch von der Kampfeslinie fernhalten will! Ihr hattet doch in den letzten Wochen genügend Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen. Vielleicht ist Euch da ja ein höherer Regierungsbeamter über den Weg gelaufen und Ihr seid unter ihm oder ihr, das spielt ja keine Rolle, zu liegen gekommen?“
Angesichts dieser Vorwürfe war ich einen Moment sprachlos vor Zorn und antwortete daher nicht, was er sofort anders auslegte.
„Ich gebe Euch die Gelegenheit, Euren Namen reinzuwaschen, Alvion Trey. Lasst Euren Beschützer diesen Befehl zurücknehmen und übernehmt ein Kommando, denn wir haben unzählige unerfahrene Soldatentrupps vor der Stadt. Ergreift diese Gelegenheit und rettet Eure Ehre, da sich hier sowieso schon jeder das Maul über Euch zerreißt. Oder ich nehme Euch Uniform und Rang ab!“
Mit äußerster Mühe gelang es mir, mich zu beherrschen und nicht sofort mein Schwert zu ziehen, doch ich trat nahe an den Tisch heran und beugte mich herüber, sodass mein Gesicht ganz nahe bei seinem war. Langsam machte ich die silbernen Spangen von meiner Schulter los und legte sie vor ihn.
„Wenn dies Euer Befehl ist, komme ich dem nach und verlasse die Armee. Nie zuvor hat es jemand gewagt, ohne mich anzuhören, mich so zu beleidigen und der Feigheit und Schlimmerem zu bezichtigen! Und nur, weil Ihr ein ahnungsloser Esel seid, halte ich mich jetzt noch zurück. Doch merkt Euch, wenn Ihr mir je außerhalb der schützenden Kasernenmauern begegnet, werde ich Euch für diese Worte zur Rechenschaft ziehen!“
„Ihr wagt es mir zu drohen, Feigling?“ zischte er zornig.
„Nennt mich noch einmal einen Feigling, und ich mache meine Drohung schon jetzt wahr!“, erwiderte ich und packte ihn mit einer Hand am Kragen.
„Das wird Folgen für Euch haben, verlasst Euch darauf!“
Auch er war nun bleich vor Zorn. Langsam ließ ich seinen Kragen los, ohne jedoch auch nur einen Augenblick lang meinen Blick von ihm zu nehmen.
„Ich lasse Euch nachher meine Ausrüstung bringen. Hofft, dass Ihr mich nie wieder seht, nachdem ich diesen Raum verlassen habe!“
Tatsächlich sagte er kein Wort mehr, als ich mich umdrehte und ging.
Eine Stunde später warf ich ein Bündel Kleidung, in das ich die übrige Ausrüstung gewickelt hatte, einem Wachsoldaten am Tor der Kaserne vor die Füße.
„Bring das zu deinem Befehlshaber, er weiß, woher es kommt. Und richte ihm aus, dass ich ihm jederzeit zur Verfügung stehe, wenn er Manns genug ist, aus seinem Loch zu kriechen!“
Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte ich durch den Schnee davon und ging, immer noch bebend vor Zorn, durch die Straßen Vylaans zum Haus der Magier. Unterwegs durch die vollen Straßen, musste ich mir immer wieder meinen Weg durch die Menschenmassen bahnen und erntete zum Teil sehr erstaunte Blicke, weil ich als junger Mann keine Uniform trug. Dies trug nur dazu bei, meine Wut noch stärker anzufachen, die sich nun mehr und mehr auf Zelio richtete. Ich beschloss ihn heute zur Rede zu stellen, egal ob mir Isas den Zugang zu ihm wieder verwehren wollte oder nicht. Außerdem hatte er dafür zu sorgen, dass man den Befehlshaber der Garnison wieder zurechtstutzte und meine Ehre wiederherstellte. Der Mann war ein Narr und ihn töten zu müssen, hätte mir nichts als Scherereien eingebracht. Immer wieder flackerte der Zorn über seine Unterstellungen auf und Zelio wurde nun in meinen Gedanken zu jenem Ziel auserkoren, das diesen Zorn geballt zu spüren bekommen würde.
Krachend flog die Tür zu Zelios persönlichem Raum auf und schlug, nochmals krachend, gegen die Wand an der Seite, ehe ich wutschnaubend hindurchstürmte. Isas hatte mir die Tür geöffnet, wo mir die Anwesenheit eines Trupps Soldaten zunächst überhaupt nicht aufgefallen war. Zwar hatte ich Soldaten in ihnen erkannt, jedoch nicht über den Sinn ihrer Anwesenheit nachgedacht, sondern war einfach an ihnen vorbeigestürmt. Da Isas mich eingelassen hatte, stellte sich mir zunächst keiner in den Weg und die beiden, die sich vor Zelios Tür postiert hatten, schob ich einfach beiseite.
„Verzeiht, Zelio, ich konnte ihn nicht aufhalten!“, rief der sich an mir vorbeidrängelnde Isas und mühte sich sogleich vergebens, mich wieder nach draußen zu ziehen. Hinter mir drängten sogleich mehrere aufgebrachte Soldaten mit gezückten Schwertern in den Raum, doch ich war schneller am Tisch heran, wo Zelio gerade mit einem Gast ins Gespräch vertieft gewesen war. Ich ignorierte diesen Gast zunächst, stützte mich mit beiden Händen auf die Tischplatte und rief zornig:
„Zelio, man hat mich gerade aus der Armee entlassen! Bringt das in Ordnung und lasst diesen Esel von Befehlshaber zur Ordnung rufen, bevor ich es selbst in die Hand nehme!“
Dann spürte ich, wie mich mehrere starke Arme packten und vom Tisch wegzerrten, gleich darauf hielten mich zwei Soldaten fest, während mir einer drohend das Schwert an die Kehle hielt.
„Es ist gut, lasst ihn!“, erklang eine mir unbekannte Stimme im Befehlston vom Tisch herüber, woraufhin mich die Soldaten langsam losließen und der Bewaffnete zögernd sein Schwert wieder einsteckte. „Lasst uns alleine!“, befahl die Stimme und augenblicklich folgten die Soldaten dem Befehl und verschwanden. Zelio selbst beantwortete Isas’ fragenden Blick mit einem Nicken, daraufhin zog sich auch dieser zurück und schloss die Türe. Dann wandte sich Zelio mit Missbilligung im Blick an mich:
„Ein eindrucksvoller Auftritt, Alvion, das muss ich schon sagen. Darf ich dir zunächst einmal deinen König vorstellen“, wies er mit einer Hand auf seinen, bis zu jenem Augenblick, unbekannten Gast. Bestürzt erkannte ich den Zelio gegenübersitzenden Melior, schließlich zierte sein Antlitz jede einzelne Münze in Solien, ging sogleich auf ein Knie herab und beugte das Haupt vor ihm.
„Majestät“, murmelte ich beschämt und spürte, wie mein Gesicht feuerrot wurde.
„Erhebt Euch, Alvion Trey!“, sagte Melior lächelnd und wandte sich an Zelio. „In der Tat, er ist sehr temperamentvoll, Zelio und er scheint große Auftritte zu lieben.“
„Oh ja, Melior, genauso ist es! Ein richtiger Hitzkopf, den sein überschäumendes Temperament bestimmt schon mehr als einmal beinahe das Leben gekostet hätte!“, knirschte Zelio ungehalten und bedachte mich mit einem strafenden Blick, während Melior immer noch milde lächelte.
„Setzt Euch zu uns, Alvion, und berichtet mir, was Euch so in Wut versetzt hat! Ich bin sicher, dass ich Euch in dieser Angelegenheit mit meinen bescheidenen Mitteln behilflich sein kann.“
Immer noch völlig überrascht und wie gelähmt nahm ich mir einen Stuhl und setzte mich neben meinen König, den ich bis gerade eben nur von Münzen kannte, und dem ich beim ersten Mal nicht auf diese Art und Weise hatte entgegentreten wollen. Dann berichtete ich ihm, was sich vor zwei Stunden beim Befehlshaber der Garnison zugetragen hatte, während er mit ernstem Gesicht lauschte.
„Bei Eurem gerade eben zur Schau gestellten Temperament hätte ich eigentlich erwartet, nun einen neuen Befehlshaber ernennen zu müssen“, sagte er schließlich lächelnd, als ich geendet hatte. „Aber gut“, fuhr er mit ernstem Gesicht fort, „ich werde mich der Sache annehmen und ein persönliches Wort mit diesem Mann reden. Einstweilen ernenne ich Euch zu einem Mitglied meiner Leibgarde und bitte Euch um den persönlichen Gefallen, den Mann nicht zu töten. Wir haben genug mit unserem Feind zu tun und sollten uns nicht auch noch gegenseitig umbringen. Habe ich Euer Wort darauf?“
„Ja, Majestät!“, war alles, was ich hervorbrachte.
„Gut! Ich lasse Euch noch die nötigen Dokumente anfertigen. Sie sollten Euch auf Eurer anstehenden Reise zumindest im unbesetzten Solien alle Türen öffnen. Ihr wisst, dass all unsere Hoffnungen auf Euren Schultern ruhen werden, Alvion! Mögen Euch die Götter auf Eurem Weg beschützen! Das wäre alles, Ihr dürft gehen.“
Mit diesen Worten war ich abgespeist worden und jeder Möglichkeit beraubt, Zelio zur Rede zu stellen. Als hätte ich einen schweren Schlag auf den Schädel erhalten, taumelte ich aus dem Raum, denn Melior hatte mich völlig überrumpelt. Leise vor mich hin fluchend stapfte ich die Treppe zu Salinas Raum hinauf.
Dort saß ich dann wieder einige Stunden, streichelte ihr Gesicht, sprach behutsam mit ihr und kämpfte die immer wieder aufkeimende Verzweiflung nieder, weil sie so zerbrechlich und schutzlos aussah und ich machtlos neben ihr sitzen musste. Irgendwann, ich hatte es gar nicht bemerkt, war Isas in den Raum getreten und hatte sich hinter mich gestellt.
„Macht Euch nicht zu viele Gedanken, Meister Alvion, ich bin sicher, dass sie bald erwachen wird!“, murmelte er sanft und drückte kurz meine Schulter. Unwillkürlich musste ich bei seiner Anrede lächeln, denn die Anrede ’Meister’ gebührte nur einem Magier, doch für einen Moment schien Isas das vergessen zu haben.
„Unten wartet ein Bote auf Euch, Alvion. Er sagte, es wäre sehr dringend!“
„Ich danke dir, Isas“, sagte ich leise und wartete, bis er den Raum verlassen hatte. Dann küsste ich Salina zum Abschied die Stirn und flüsterte ihr zu:
„Ich komme morgen wieder, geliebte Zauberin. Schlaf ruhig und träume schön!“
„Tian Lux ist eingetroffen!“ Die nächsten Worte des jungen Burschen, der aus der Herberge hergeeilt war, hatte ich schon gar nicht mehr mitbekommen, sondern war bereits an ihm vorbei zur Tür hinausgestürmt. Draußen ging ich eilends die Straße hinunter und bemerkte nur aus den Augenwinkeln, dass mir nach ein paar Schritt ein Zal in voller Ausrüstung auf einem Maultier entgegenkam, der etwas zu suchen schien, jedoch dachte ich einen Moment später gar nicht mehr darüber nach.
Es dauerte nicht lange, bis ich durch die kleinen Gassen Vylaans zur Herberge ’Velia’ gelangt war und durch den Innenhof zum Empfang stürmte. Der dort Beschäftigte blickte bei meinem hastigen Eintreten nur kurz auf und verwies dann stumm auf die Tür zur Schankstube. Diese riss ich mit einem Ruck auf, zog mein Schwert und brüllte lauthals in den Raum hinein:
„Wo ist dieser Argionhund?“
Die wenigen anwesenden Gäste blickten mich erstaunt und verängstigt an, nur eine Gestalt, die mit dem Rücken zur Tür saß, rührte sich nicht einmal. Langsam, mit bedächtigen Schritten, die laut in der in angespannter Ruhe erstarrten Gaststube widerhallten, ging ich auf jenen Mann zu und blieb unmittelbar hinter ihm stehen.
„Ich stelle fest: Wie gewöhnlich interessiert dich nicht, was in deinem Rücken passiert, Tian Lux!“, versuchte ich ernst zu sagen, was mir beinahe misslang. Mit einem Seufzer erhob sich Tian Lux und stemmte sich mit beiden Armen auf die Tischplatte, ohne sich umzudrehen.
„Setz dich hin, ungestümer Südländer, bevor uns dein großes Maul wieder einmal in Schwierigkeiten bringt!“
Wir warteten beide noch einen Moment lang ab, während in der Stube immer noch alle wie erstarrt waren, dann steckte ich langsam mein Schwert wieder ein und Tian Lux drehte sich um. Einige Augenblicke starrten wir uns stumm an, ehe wir uns schließlich kräftig umarmten und immer wieder kräftig auf den Rücken schlugen.
„Es ist gut dich wiederzusehen, Alvion!“, sagte Tian schließlich.
„Bei den Göttern, das ist es, Tian!“, erwiderte ich, ehe ich mich auf einen Stuhl fallen ließ und den Wirt herbeiwinkte, um Wein zu bestellen. Die übrigen Gäste hatten uns wieder den Rücken gekehrt und sich ihren eigenen Gesprächen zugewandt, als ersichtlich war, dass wir nur eine kleine Einlage geboten hatten.
„Erzähl mir, Tian, wie kommst du nach Vylaan? Ich wusste zwar, dass du auf dem Wege bist, aber warum weiß ich nicht“, begann ich das Gespräch, als der Wirt meinen Wein gebracht hatte. Tian zog erstaunt die Brauen hoch.
„Aber du warst es, der mich hergerufen hat, Alvion!“
„Ich habe was?“, fragte ich verblüfft.
„Du hast mich hergerufen, Alvion!“
Er berichtete von jener unbestimmten Ahnung, die ihn dazu bewogen hatte, Argion zu verlassen und jenem Traum, der ihm schließlich Gewissheit gegeben hatte, nach Vylaan kommen zu müssen.
„Das war nicht mein Werk, Tian, ganz gewiss nicht, aber ich glaube ich durfte die Vorgänge beobachten, die zu deinem Traum geführt haben, und ich denke, spätestens morgen sollte ich dir Zelio von Dhomay vorstellen.“
In kurzen Worten berichtete ich ihm alles, was ich über die Beschwörungen der Magier wusste und anscheinend noch einiges mehr, denn Tian setzte ein schelmisches Lächeln auf, als ich geendet hatte und fragte:
„Was hat es mit jener Salina auf sich, Alvion? Deine Augen leuchten wie die eines verliebten Schuljungen, wenn du auch nur ihren Namen erwähnst!“
„Du bist ein unverschämt guter Beobachter, Tian Lux“, murmelte ich errötend und betrachtete scheinbar interessiert meinen Becher, während ich in Gedanken Salina in ihrem todesähnlichen Schlaf vor mir sah. Tian dachte an das Naheliegendste, als er mir die Hand auf die Schulter legte.
„Du weißt, dass ihr Orden und ihr Gelübde ihr die Liebe verbieten, Alvion! Du wirst schon darüber hinwegkommen.“
„Das ist gar nicht das Problem, Tian“, antwortete ich traurig. „Seit jener zweiten Beschwörung ist sie nicht erwacht. Ich habe Angst sie an Chiora zu verlieren.“
„Einen Moment, Alvion, verstehe ich dich richtig?“, fragte er verwirrt und unterschlug den zweiten Teil des Satzes.
„Ja, Tian, du verstehst richtig. Sie hätte deswegen beinahe den Bruch mit dem Hüter des Ordens heraufbeschworen, doch selbst den Magiern gehen momentan andere Dinge im Kopf herum, als ihre Gelübde. Verstehst du nun meine Sorge, Tian? Ich würde für sie durchs Feuer gehen oder mich von den Mertix oder sonstigen Untieren zerreißen lassen, aber ich kann nichts tun.“
Ich schlug kräftig mit der Faust auf den Tisch und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, während Tian mich mitfühlend aber auch mit einem anderen Ausdruck in den Augen anblickte. Dann beschloss er offensichtlich, mich aufzuheitern.
„Nun ja, Alvion, es wird sich finden, da bin ich mir sicher! Du hast ja bereits erzählt, dass diese Beschwörungen sehr kräftezehrend sind und die Magier danach einige Tage ruhen müssen. Sie ruht eben länger als gewöhnlich, vielleicht auch, weil du ihr zuvor einiges abverlangt hast?“
Mit offenem Mund starrte ich in sein grinsendes Gesicht, musste jedoch gleich darauf selbst grinsen.
„War es damals in Ulyssa nicht ähnlich, Alvion, als dich jener Händler mit gezogenem Schwert durch die Stadt jagte?“
„Hört, hört!“, erwiderte ich mit gespielter Empörung. „Und das von einem Manne, der seine letzte Eroberung nicht erreichen konnte, weil er durch das Dach eines Hühnerstalls brach?“
Eine Weile warfen wir uns noch gegenseitig derlei Dinge an den Kopf und lachten Tränen, ehe ich schließlich wehmütig einwarf:
„Es waren gute Zeiten, damals, nicht wahr?“
„Ja, das waren sie, Alvion, und wir werden so lange weiterkämpfen, bis Septrion wieder frei ist, um wieder jener Ort zu werden, wo wir diese Zeiten erlebten!“, erwiderte Tian mit grimmigem Gesicht und leicht glänzenden Augen.
„Deiner Heimat ist es nicht gut ergangen, habe ich gehört?“
„Nein“, antwortete er tonlos und schwieg einen Moment, „aber Argions Wunden können heilen, Alvion, deine Heimat dagegen wird auf ewig auf dem Grund des Ozeans ruhen müssen! Daran dachte ich immer, wenn mich die Verzweiflung zu übermannen drohte. Argion muss befreit werden, damit seine Wunden heilen können und zu diesem Zwecke muss dieses Ungeheuer in Tar Naraan sterben. Lass uns schwören, Alvion, dass wir nicht ruhen, bis wir ihm für seine Untaten die gerechte Strafe gebracht haben!“
Wir reichten uns die Hände und besiegelten diesen Schwur in jenem stummen Augenblick finsterer Entschlossenheit. Unausgesprochen und doch deutlich vernehmbar hatten wir geschworen, Molaar zu vernichten oder selbst zu sterben.
„Morgen gehen wir zu Zelio! Und sobald Salina wieder wach und bei Kräften ist, werden wir aufbrechen. Natürlich nur, wenn Marcon Theron dann auch schon eingetroffen ist.“
„Das ist er bereits“, antwortete Tian und sein Gesicht hellte sich auf. „Ich hab ihn in einem Gasthaus an der Abzweigung nach Gator getroffen und den Weg bis hierher mit ihm zurückgelegt. Er ist ein lustiger Bursche und ein großer Geschichtenerzähler, aber ich glaube kein Aufschneider, sondern einer der nur gerne ausschmückt.“
„Du hast ihn einfach so getroffen?“, fragte ich erstaunt.
„Naja, ich saß da und hing meinen Gedanken nach, da setzt sich dieser redselige Kerl an meinen Tisch und beginnt zu erzählen und hört und hört nicht auf. Zwischendrin hat er immer wieder einen Hinweis darauf gegeben, dass ihn irgendetwas mit unwiderstehlicher Macht nach Vylaan zog. Ihn dann dazu zu bringen, von seinem Traum zu berichten, war nicht weiter schwer. Es war übrigens Salina, die ihm im Traum erschienen ist!“
Bei der Erwähnung ihres Namens horchte ich auf und hätte Tian beinahe am Kragen gepackt.
„Was hat sie zu ihm gesagt?“, stieß ich aufgeregt hervor.
„Beruhig dich, Alvion! Sie sagte, dass er zu ihr kommen solle und an ihrer Seite eine lange Reise unternehmen solle. Und wo er sie finden könne. Aber da sie schläft, denke ich, dass er bald hier sein müsste. Er weiß, wo er mich finden kann.“
In diesem Moment dämmerte mir, dass ich diesen Marcon Theron schon gesehen hatte, doch noch ahnte ich nichts dabei.
„Ich hätte auf ihn warten können“, lachte ich, „ich hab ihn ja noch gesehen, als ich aus dem Haus stürzte und hierher gekommen bin. Nun ja, er wird Zelio sicher einige Fragen stellen wollen.“
„Was du zuvor über die Mertix gesagt hast, Alvion, hatte das einen bestimmten Grund?“, fragte Tian unvermittelt. Eine Weile antwortete ich nicht, sondern starrte meinen Becher an, dann erst, als ich glaubte die Schreckensbilder einigermaßen im Griff zu haben, berichtete ich von der Nacht in den Wäldern und dem entsetzlichen Blutbad, das die Mertix angerichtet hatten. Ich wunderte mich, dass Tian wegen der Mertix ein solches Interesse an den Tag legte. Er wirkte sehr betroffen, doch schien er an meinen Worten zu zweifeln, was mich sehr erboste.
„Frag’ Absalom doch selbst, Tian! Der Magier vom Orden von Fran hat mir ins Gesicht gesagt, dass er es war, der die Mertix auf uns hetzte!“, fuhr ich ihn heftig an.
„Du willst sagen, dass es eigentlich der Magier gewesen ist?“, bohrte Tian weiter und ignorierte meinen gereizten Ton. Er schien unbedingt eine Bestätigung dafür zu brauchen. Mein Zorn verrauchte so schnell, wie er gekommen war, und machte stattdessen Verwirrung Platz.
„Ja, Tian, Absalom war es! Wieso ist denn das so wichtig?“
Als Tian mir von seinem stummen Lebensretter in den Gatorbergen erzählte, verstand ich ihn, auch wenn meine Verwirrung nicht weniger wurde. Die Mertix blieben ein Rätsel, nur dass wir beide nunmehr wussten, dass sie weit mehr als nur eine Legende waren.
Im weiteren Verlauf des mittlerweile zum Abend gewordenen Tages dachte ich irgendwann nicht mehr an Mertix oder Marcon Theron, sondern lauschte Tians Erlebnissen der letzten Monate und berichtete dann von meinen eigenen, sodass die Zeit schnell verstrich, ohne dass wir es überhaupt bemerkten. Sobald es draußen dunkler geworden war, kamen mehr und mehr Gäste in die Schankstube der Herberge, was derzeit völlig normal war. Da eine unglaubliche Anzahl von Menschen nach Vylaan strömte und auf jede erdenkliche Art in der Stadt und in eigens dafür errichteten Hütten außerhalb der Stadt untergebracht war, wimmelte es abends nur so von Gästen, die nach Ablenkung und Entspannung suchten und die Gaststätten und Schenken bis auf den letzten Platz füllten. Sobald der hohe Schnee schmelzen und nicht länger eisige Winde über das Land fegen würden, würde der Großteil der Soldaten – viele davon zum ersten Mal – in den Krieg ziehen.
Jedenfalls war die Schankstube sehr gut besucht, als es zu einem folgenschweren Zwischenfall kam. Tian hatte gerade mit einem Blick nach draußen erstaunt festgestellt, dass es schon dunkel geworden war und sich gewundert, dass Marcon Theron immer noch nicht hier war, da fixierte er auf einmal etwas oder jemanden hinter mir. Auf meinen fragenden Blick antwortete er:
„Dort drüben, direkt am Ausschank stehen ein paar Soldaten und scheinen über dich zu reden. Jedenfalls blicken sie immer wieder her. Jetzt lachen sie sogar.“
Langsam drehte ich mich um und blickte durch die trübe, rauchgeschwängerte Luft zum Ausschank hinüber, wo tatsächlich vier Soldaten standen und zu mir herübersahen. Als sie mein Gesicht sehen konnten, glaubte ich „Das ist er!“, von den Lippen des einen ablesen zu können, blieb jedoch gleichgültig und drehte ich mich wieder um.
„Sie kommen herüber, der mit der grobschlächtigen Visage zuerst. Sieht nach Ärger aus, Alvion.“
„Natürlich“, murmelte ich mit vor Ironie triefender Stimme vor mich hin. Betont gleichmütig, doch aufs Äußerste angespannt blieben wir sitzen. Im nächsten Moment legte sich eine fleischige Hand auf meine Schulter, dann beugte sich jemand zu mir herunter und im nächsten Moment lallte er mit nach Schnaps stinkendem Atem und boshafter Stimme:
„Heda, dich kenn ich doch, du bist dieser Feigling, der es mit einem hohen Beamten treibt, um nicht kämpfen zu müssen.“
Um uns herum wurde es schnell ruhiger, da jeder bemerkte, dass hier etwas vor sich ging. Immer noch mit äußerster Ruhe drehte ich meinen Kopf und blickte in ein wirklich hässliches, vom Alkohol aufgequollenes Gesicht.
„Wenn du deine Hand weiterhin benutzen willst, dann nimm sie augenblicklich von meiner Schulter!“, befahl ich ihm mit Eiseskälte in der Stimme.
„Oh, nein, feiger Hund, der Befehlshaber hat einen Preis auf dich ausgesetzt und den werde ich mir holen!“ Im nächsten Moment spürte ich auch schon, wie seine Hand zupackte und mich nach oben reißen wollte. Mit einer blitzschnellen Bewegung riss ich mich los, drehte mich in seine Richtung und blickte ihm direkt ins Gesicht.
„Verschwinde, Saufbold, du widerst mich an! Kümmere dich um deinen Schnaps!“
Sein Gesicht verzerrte sich bei diesen Worten vor Wut, dann brüllte er „Na, warte!“ und stürzte sich auf mich. Der Angriff war langsam und plump, sodass es mir keine Mühe machte, ihm auszuweichen und gleichzeitig einen schweren Treffer in seiner Magengrube zu landen. Im nächsten Moment sah ich eine Klinge auf mich zukommen, die mich unweigerlich schwer verwundet hätte, doch ganz dicht vor meinem Gesicht wurde der Angriff von einer weiteren Klinge pariert. Tian hatte den Angriff kommen sehen, war aufgesprungen und selbst dazwischen gegangen. Der Angreifer blickte ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Wut an und zögerte einen Moment, den ich nutzte, um mein eigenes Schwert zu ziehen. Nun standen wir zu zweit den drei Begleitern des Streitsüchtigen gegenüber, der selbst noch dabei war, sich langsam hochzurappeln. Um uns herum hatte sich schnell ein großer Kreis gebildet, denn niemand wollte hier zwischen die Fronten geraten.
„Steckt eure Schwerter ein, feige Hunde, dann kommt ihr mit dem Leben davon!“, stieß Tian mit Verachtung hervor und spuckte vor ihnen aus. „Etwas Feigeres habe ich meinem Leben noch nie gesehen, als deinen hinterhältigen Angriff! Und du willst Soldat sein?“, fügte er in Richtung desjenigen hinzu, der mich angegriffen hatte.
„Halt’s Maul, Halbwilder aus den Wäldern! Ihr habt doch in den letzten Wochen bewiesen, was für Stümper ihr seid!“
Noch griffen sie nicht an, aber sie steckten ihre Schwerter auch nicht weg und mittlerweile hatte sich der Rädelsführer aufgerappelt und mit gezogenem Schwert neben sie gestellt. Tian sog zischend Luft bei der ungeheuren Beleidigung ein, die der Andere ausgesprochen hatte, sagte jedoch nichts. Ich dagegen grinste ihn fröhlich an, doch meine Stimme klang drohend, als ich an Tians Stelle antwortete:
„Du bist ein ausgemachter Dummkopf! Ich hoffe du hast deinen Frieden mit den Göttern gemacht, denn für diese Worte wird dich mein Freund töten!“
Der Rädelsführer nahm seinem Gefährten die Antwort ab.
„Halt du auch dein Maul, abartiger Feigling! Du hattest gerade eben nur Glück!“
Einen Moment lang fixierte ich ihn nur mit zusammengekniffenen Augen, dann sagte ich mit eiserner Ruhe:
„Du dagegen hast mich jetzt einmal zu oft beleidigt! Dein Leben ist nichts mehr wert, es sei denn, du fängst jetzt sofort an zu laufen! Übrigens, ihr beiden“, wandte ich mich an jene, die noch nichts gesagt hatten, „ihr könnt eure Schwerter einstecken und euch hier ein Plätzchen suchen. Noch habt ihr Gelegenheit ungeschoren aus dieser Sache herauszukommen.“
„Er hat doch nur Angst!“, wandte sich der Rädelsführer an die beiden. „Kommt schon, wir machen ihn fertig und teilen uns das Geld. Nichts wird uns passieren, wenn wir diesen Abschaum da abstechen!“
Die beiden schienen tatsächlich einen Moment unentschlossen. Während Tian und ich abwarteten, ob sie tatsächlich den Angriff wagen würden, freute ich mich komischerweise darüber, wieder Seite an Seite mit ihm der Gefahr ins Auge zu blicken. Diese Burschen waren keine nennenswerte Gegner für uns, das wussten wir beide. In der gesamten Schenke hatte sich durchdringende Ruhe breitgemacht, sodass man eine Nadel hätte fallen hören können.
„Wir erteilen ihnen eine gehörige und schmerzhafte Lektion, gut? Mir steht nicht der Sinn danach, ein paar Trunkenbolde umzubringen und am Ende deswegen am Galgen zu baumeln“, flüsterte mir Tian zu und ich nickte zustimmend. Im nächsten Moment hatten sich die beiden Unschlüssigen entschieden. Sie spuckten vor uns aus, dann stürzten alle Vier auf einen Ruf des Rädelsführers gleichzeitig auf uns. Sie waren jedoch so betrunken und überheblich, dass sie sich nur gegenseitig behinderten. Innerhalb von ein paar Sekunden waren schon zwei der vier kampfunfähig. Tian hatte dem ersten das Schwert aus der Hand geschlagen und ihn dabei am Arm getroffen, sodass er nun heftig blutend und jammernd auf dem Boden kniete. Ich hatte einen Hieb pariert und den Gegner zurückgestoßen, dann den zweiten Gegner ins Leere laufen lassen und ihm den Knauf meines Schwertes ins Genick geschmettert, sodass er auf der Stelle bewusstlos zusammengebrochen war. Die Prellung würde ihn einige Zeit an diesen Vorfall erinnern! Dann war der Rädelsführer auf mich zugesprungen, viel zu ungestüm, sodass ich keinerlei Mühe mit ihm hatte. Blitzschnell hatte ich seinen Hieb pariert, ihm im Vorbeigehen mein Knie in den Magen gerammt und dann umgestoßen. Als er, das Schwert noch immer in der Hand, vor mir auf dem Boden lag, trat ich ihm mit voller Wucht auf die Hand und spürte, wie ich ihm mehrere Finger brach. Sofort begann er erbärmlich zu wimmern, doch er verstummte, als ich das Schwert mit dem Fuß wegstieß, mein eigenes einsteckte, ihm das Knie auf die Brust drückte, dann meinen Dolch zog und ihm diesen an die Kehle setzte. Mit vor Angst weit aufgerissenen Augen starrte er mir entgegen. Ein kurzer Seitenblick zeigte mir, dass Tians Beleidiger mit dem gleichen Gesichtsausdruck vor ihm kniete, während die Spitze von Tians Schwert auf seine Kehle drückte und Blut aus einer Wunde an seinem Bein floss.
„Ich werde mir jetzt die Zeit nehmen, mir anzuhören, wie du mich um Vergebung bittest und dann nachzudenken, ob du überzeugend genug warst, dass ich sie annehme“, zischte ich meinem Gegenüber unverhohlen drohend ins Gesicht.
„Wohl gesprochen!“, lobte Tian neben mir und blickte seinen Gefangenen an. „Ich denke, ich werde diesem Beispiel folgen.“
Es dauerte eine geraume Weile, bis wir aus dem ängstlichen, schnapsgeschwängerten Gestammel der beiden etwas heraushören konnten, was einer Entschuldigung nahe kam. Natürlich entsprang sie nicht der Reue über das Gesagte, sondern der nackten Angst, aber schon das erbärmliche Bild, dass sie abgaben, hielt uns davon ab, sie zu töten. Das hätte nämlich dann uns in ein ziemlich schlechtes Licht gerückt.
„Merk dir gut, was hier gerade geschehen ist und denke jedes Mal, wenn dich deine gebrochenen Finger schmerzen, an diesen Augenblick, Soldat!“, flüsterte ich schließlich verächtlich. „Ich könnte dir jetzt die Kehle durchschneiden und es wäre immer noch mein gutes Recht um meine Ehre wiederherzustellen, doch ich lasse dir dein erbärmliches Leben. Lass dir das eine Lehre sein, der nächste, den du beleidigst, wird vielleicht nicht so gnädig sein, wie ich!“ Damit richtete ich mich auf und steckte meinen Dolch weg.
„Gehen wir!“, hörte ich Tians Stimme neben mir, doch es war zu spät, weil in ebendiesem Moment eine eilends herbeigerufene Patrouille die Schankstube betrat. Das würde jetzt mit Sicherheit eine lästige Angelegenheit werden. Dummerweise hatten wir auch noch eine ganz eifrige Streife erwischt, die selbst solch einer Lappalie – schließlich war niemand getötet worden – peinlich genau nachging. So, wie in jeder größeren Stadt, gab es auch in Vylaan mehrere kleine, auf die Stadt verteilte Wachstuben der Armee mit einigen Arrestzellen darin, wo die Beteiligten an Prügeleien oder schwer Betrunkene gezwungen waren, eine Nacht zu verbringen, bevor sie für gewöhnlich wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Zumindest verhielt es sich so, wenn niemand umgekommen oder schwer verletzt worden war. Das Ärgerliche jedoch war, dass die meisten Patrouillen erst anfingen, die Gefängnisse zu füllen, wenn eine ganze Taverne in eine wüste Prügelei verstrickt war. In einem Fall wie unserem, wo alles beendet gewesen war, ehe die Patrouille auch nur eingetroffen war, pflegten die ohnehin mürrischen Wachsoldaten sich nicht unnötig Arbeit aufzuhalsen. Doch diese Patrouille wurde von einem jungen, sehr pflichteifrigen Soldaten angeführt, der uns erst einmal alle einsperrte, ohne sich auch nur ein Wort anzuhören. Das dunkle Loch, in das sie mich sperrten, stank fürchterlich nach Schweiß, Verwesung, Exkrementen und Fäulnis und es erforderte einiges an Kraft, mich nicht würgend zu übergeben. Der Raum hatte kein Fenster, und obwohl er im oberen Stockwerk des Hauses war, war es feucht wie in einem Kellergewölbe, außerdem war er wirklich winzig. An der Wand war eine schmale Holzpritsche, die von zwei Ketten gehalten wurde. Seufzend räumte ich das faulige Stroh davon herunter und legte mich hin, denn mehr als warten konnte ich nun auch nicht. Es muss wohl nicht weiter erwähnt werden, dass ich dort eine erbärmliche Nacht verbrachte, weil allerlei Ungeziefer und sonstiges Getier immer wieder im Stroh raschelten und ich andauernd das Gefühl von winzigen Füßen irgendwo an meinem Körper zu spüren glaubte. Irgendwann hörte ich endlich, wie die massive Tür entriegelt wurde, gleich darauf fiel schwaches Licht zu mir herein. Eine mir unbekannte Stimme fragte in den Raum herein:
„Seid Ihr Alvion Trey?“
„Ja, der bin ich!“
„Nun, dann kommt heraus!“
Außerhalb der Zelle empfing mich ein sympathischer älterer Offizier, mit vernarbtem Gesicht, das ein spöttisches Lächeln zierte.
„Ich hatte nicht erwartet, meinen neuen Offizier auf diese Art und Weise kennenzulernen, Alvion Trey!“, sagte er mehr mit gespieltem, denn mit echtem Tadel in der Stimme. „Ich bin Saverio Linom, Kommandant der königlichen Garde.“
„Es ist mir eine Ehre, Sire!“, erwiderte ich beschämt. Seine Antwort bestand aus einem dröhnenden Lachen.
„Schon gut, Alvion! Ihr seid nicht der Erste meiner Männer, den ich aus einer Zelle holen muss. Ich habe mir euren Fall angehört und ein Wörtchen mit dem Patrouillenführer geredet, ebenso wie ich heute noch mit Eurem ehemaligen Kommandanten ein paar unfreundliche Worte wechseln werde. Eurer Rache werde ich ihn allerdings entziehen, denn direkt nach unserem Gespräch wird er Vylaan verlassen und sich wieder im Kampf bewähren dürfen, und zwar als normaler Offizier, denn er hat scheinbar einige Dinge verlernt, die ein Befehlshaber zu achten hat. Und nun kommt!“
Während wir die Treppen nach unten gingen, fragte ich ihn:
„Verzeiht, Sire, aber wie habt ihr mich hier überhaupt gefunden?“
„Oh, ich habe Euch gar nicht gefunden. Ein paar Soldaten plauderten heute früh über den gestrigen Vorfall und so gelangte die Nachricht schließlich sogar zu Ohren der Innenministerin und die weiß zum einen alles, was König Melior auch weiß, und besitzt zum anderen dessen uneingeschränktes Gehör. Jedenfalls erreichte mich vorhin ein königlicher Eilbote, der mich anwies, diese Angelegenheit umgehend ins Reine zu bringen. Bis zu jenem Zeitpunkt wusste ich noch nicht einmal, dass ihr mir gestern zugeteilt worden seid. Ihr müsst ein wichtiger Mann für den König sein, Alvion, dass er es mir persönlich aufgetragen hat!“
„Wir werden sehen“, murmelte ich nur zur Antwort.
Unten erwartete uns schon Tian Lux, der auch aussah, als hätte er eine äußerst unangenehme Nacht hinter sich.
„Nun, Alvion, ich verabschiede mich von Euch. Ich habe den ausdrücklichen Befehl, Euch keine Befehle zu erteilen“, sagte Saverio fröhlich zum Abschied. „Aber ich würde Euch raten, Euch recht bald eine Uniform zu holen, damit sich derartige Vorgänge nicht noch einmal wiederholen.“
„Ich danke Euch, Sire! Das werde ich gleich nachher erledigen!“
Saverio lächelte noch einmal, als wir uns die Hand schüttelten, dann verließen wir die Wache, wobei ich sehen konnte, wie sich der zuständige Soldat unter unseren Blicken wegduckte.
„Weißt du, Alvion“, sagte Tian auf dem Weg nach draußen, „ich bin keinen Tag in Vylaan, treffe auf dich und schon verbringe ich die Nacht im Gefängnis.“
„Komisch, Tian, ich wollte gerade sagen, dass ich hier meine Ruhe hatte, bis du aufgetaucht bist.“
Wir mussten beide lachen, dann wurde ich wieder ernst.
„Du hast mein Leben gerettet, Tian, dafür stehe ich in deiner Schuld!“
„Nein, Alvion, wir sind quitt. Du hast damals das meine fast auf die gleiche Art und Weise gerettet!“
„Na schön, dann lass uns endlich hier verschwinden, mir ist nach einem Bad und etwas zu essen.“
„Ein sehr guter Gedanke, Alvion!“
Wir trennten uns kurzzeitig, um uns beide zu säubern und umzuziehen, danach befolgte ich Saverios Rat und ließ mich in der Kaserne der königlichen Garde neu einkleiden, was Dank der Papiere, die ich von einem königlichen Boten erhalten hatte, keinerlei Schwierigkeiten machte. Nachdem ich sämtliche Ausrüstungsgegenstände in einem großen, ledernen Rucksack erhalten hatte, war ich in meine Herberge zurückgekehrt, hatte mich ausgiebig gewaschen und schließlich meine neue Uniform angezogen. Bequeme schwarze Hosen, gehalten von einer mit dem königlichen Wappen verzierten Koppel, ein rotes Hemd, das über meine Lenden fiel, ebenfalls mit dem Königswappen darauf, darüber die burgunderfarbene Jacke mit goldenen Knöpfen und meinen Offiziersspangen auf der Schulter. Schon auf der Straße bemerkte ich einen gewaltigen Unterschied. Hatte man mich gestern noch misstrauisch betrachtet, weil ich keinerlei Uniform oder Kriegskleidung trug, so bemerkte ich nun die respektvollen Blicke, die mir zugeworfen wurden. Auch Tian nickte anerkennend, als ich ihn in seiner Herberge abholte.
„Sieh an, vor einigen Monaten noch ein einfacher Vagabund und nun Offizier in der königlichen Garde. Derzeit kommt man in Solien scheinbar schnell vorwärts!“
„Ich verstehe es auch nicht, Tian. Zelio scheint großen Einfluss zu haben, wenn sich sogar der König selbst um meine Belange kümmert. Normalerweise sollte ich längst wieder in meiner normalen Uniform irgendwo bei der Armee sein, aber es scheint in ihrem Interesse zu sein, dass ich in Vylaan bleibe.“
„Nun gut, ich denke, dieser Zelio wird uns einige Fragen zu beantworten haben, nicht wahr?“
Ich konnte nur zustimmend nicken, dann machten wir uns auf den Weg zum Unterschlupf der Magier, denn es war wirklich an der Zeit, mit Zelio zu sprechen.
Es war bereits Mittag, als Isas uns die Türe öffnete und uns nacheinander eintreten ließ. Drinnen bot sich ein mir bekanntes Bild: Einige bewaffnete Soldaten warteten in der Eingangshalle und sie trugen die gleichen Uniformen wie ich.
„Der König ist da!“, flüsterte ich zu Tian herüber, was dieser mit einem erstaunten Blick zur Kenntnis nahm. Ehe er etwas sagen konnte, stürzte aus dem Nichts ein kleingewachsener, dafür sehr stämmiger Zal mit langem Bart auf Tian zu und ergriff dessen Hand um sie kräftig zu schütteln.
„Tian Lux, ich freue mich, dich wiederzusehen!“
Tian erwiderte den festen Händedruck mit einem Lächeln.
„Marcon Theron, es ist gut, dich so schnell wieder zu sehen! Dies ist mein Freund Alvion Trey, der mich hierher gelockt und prompt ins Gefängnis gebracht hat!“
Ehe ich etwas sagen konnte, hatte Marcon Theron bereits meine Hand ergriffen und war im Begriff sie zu zerquetschen. Dann schlug er mir mit seiner anderen Hand krachend zwischen die Schultern, sodass ich beinahe in die Knie ging.
„Soso, Ihr seid das? Es erfreut mich ungemein, Alvion Trey!“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Marcon Theron!“, erwiderte ich ächzend und lachend zugleich. „Tian hat mir bereits von Euch erzählt. Und gebt nicht soviel auf sein Geschwätz wegen des Kerkers. Er scheint etwas verweichlicht zu sein, sonst würde er anders über die Gastfreundschaft der Armee sprechen, die wir letzte Nacht genießen durften!“
Diese Worte quittierte der Zal mit einem dröhnenden Lachen, das sogleich die Aufmerksamkeit der anwesenden Soldaten auf uns zog, dann schlug er mir nochmals auf die Schultern, sodass ich fast wieder in die Knie gegangen wäre.
„Ein feiner Kerl, Tian, Ihr habt nicht zu viel versprochen!“, ließ er Tian nicht einmal zu Wort kommen. „Aber jetzt erklärt mir, was euch hierher bringt?“
Tian verwies an mich und ich erzählte dem Zal in kurzen Worten, wie ich Salina getroffen und in dieses Haus in Vylaan gekommen war.
„Da soll mich doch Nisistrus holen, wenn das alles nicht miteinander in Verbindung steht!“, polterte er los. „Doch ich fürchte, wir werden uns noch einige Zeit gedulden müssen, denn Zelio wollte mir nichts sagen. Er meinte nur, dass ich es im nächsten Frühjahr erfahren würde.“
Da mir Salina verraten hatte, was die erste Beschwörung offenbart hatte, konnte ich mir somit zusammenreimen, dass unser Aufbruch wohl erst zu jener Zeit stattfinden würde. Ehe ich mir jedoch Gedanken über die vielen offenen Fragen machen konnte, die damit verbunden war, kam eine bekannte Gestalt die Treppe herunter und lief aufgeregt auf mich zu.
„Alvion, was stehst du denn hier herum?“, erklang die bekannte Stimme von Lamia von Ivis. „Hat dir denn keiner gesagt, dass sie wach ist?“
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